Eine recht lustige Passage aus "Sterne sieht man nur bei Nacht", in der Hans auf einem
Festival zwei Freundinnen erklärt, wie seine Geschichten entstehen, fiel leider dem Lektorat zum Opfer.
Auch wenn der fiktive Hans im Buch KEIN Schriftsteller sein wird, ist die Passage fast zu schade, um sie Euch vorzuenthalten.
Also Vorhang auf:
Hans Wegmann versucht zu erklären, wie er zu seinen Kurzgeschichten inspiriert wird:
„Ich hab deine letzte Geschichte gelesen“, sagte Eva an Hans gewandt.
Er hielt den Plastikbecher fest umklammert und fühlte die Kälte des Getränkes. Hans versuchte erst gar nicht, die Genugtuung in seiner Stimme zu verhehlen: „Wie schön. Ich wusste gar nicht, dass die überhaupt gelesen wird. Und? Wie fandest du den Text?“, fragte er.
Eva überlegte und sagte diplomatisch: „Du schreibst leicht und unterhaltsam“, sie machte eine Pause. „Aber ich finde es sehr mutig, eine Geschichte ins Internet zustellen, wo jeder weiß, dass sie im Café Rote Mühle spielt und man kein Genie sein muss, dass sie die Loni Schneider ist und der Hauptcharakter natürlich du selber bist. Und dann habt ihr auch noch Sex.“
Hans trank den letzten Rest von seinem Cuba Libre und nickte Markus zu, ob er ihm nicht noch einen mischen könnte.
„Das ist eine fundierte Kritik“, sagte Hans. „Das brauche ich. Aber…“
„Hört, hört, jetzt kommt die Verteidigung.“
„Genau, ich erkläre euch gerne, wie die Geschichte zustande gekommen ist. Ihr habt Recht, dass das Café unsere Mühle ist. Klar. Alles andere ist frei erfunden.“
„Wie kommt es dann, dass die dargestellte Frau genau so ausschaut wie die Loni Schneider?“
„Du denkst also, dass die Geschichte eine Schlüsselerzählung ist, bei der man nur die fiktiven Namen austauschen braucht und schon wird daraus eine wahre Begebenheit?“
„Genau das denke ich auch“, sagte Vreni und beide nickten.
„Naja, so unrecht habt ihr auch nicht, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Es ist nämlich umgekehrt: Loni Schneider ist nämlich der Mann und ich bin die Frau.“
Eva und Vreni hielten kurz inne, als ließen sie den Text noch einmal geistig Revue passieren. „Tatsächlich, das macht sogar noch mehr Sinn“, sagte Eva.
„Das ändert aber immer noch nichts daran, dass du Sex mit der Loni Schneider hast“, wandte Vreni ein.
Hans machte eine abfällige Handbewegung: „Alles Interpretation. Ich säe den Samen aus und alles was dabei rauskommt, passiert doch sowieso nur in eurem Kopf.“
Eva sah ihn beschwichtigend an: „Schon gut. Wir ziehen dich ja nur auf. Man braucht schon viel Phantasie, um aus dem Text eine Affäre zwischen dir und der Loni rauszulesen. Aber deiner Reaktion nach zu urteilen…“
„Eigentlich wollten wir dich etwas ganz anderes fragen“, sagte Vreni. Hans sah sie gespannt an.
„Schreib doch auch mal was über uns. Wir erleben so viele schräge Dinge jedes Wochenende, da müsste doch auch mal eine Kurzgeschichte drin sein, oder?“
„Vielleicht habe ich ja längst schon über euch geschrieben“, entgegnete er vieldeutig.
„Sicher nicht“, wandte Eva ein, „Wir haben so gut wie alles, was du ins Internet gestellt hast, gelesen und da taucht weder sie noch ich auf.“
„Ich glaube nicht, dass jemand wirklich will, dass über ihn geschrieben wird“, sagte Hans. „Ein guter Schriftsteller findet nämlich den wunden Punkt und schreibt etwas auf, das schmerzhaft ist, oder das als unwahr empfunden wird.“
„Dann schreib halt was lustiges“, sagte Vreni und lachte. „Du kannst uns ja lauter lustige Dinge tun lassen. Eine Tortenschlacht machen, zum Beispiel. Oder uns einen Clown frühstücken lassen.“
„Wie makaber“, sagte Eva und schüttelte sich.
„Vielleicht in einem anderen Leben“, sagte Hans. „Ich kann derzeit nichts lustiges schreiben. Alles ist irgendwie dunkel, auch wenn ich mit einer lustigen Ausgangssituation beginne.“
„Also bleiben wir beim Clown-Frühstücken. Passt doch, oder?“, Vreni lachte. „Verona, so heiße ich dann in der Geschichte, und Ave, so heißt Eva, saßen am gedeckten Frühstückstisch und hielten hungrig ihr Besteck fest umklammert in den Händen. Noch lachte der Clown, dem die Schminke langsam rot über den Mund tropfte.“
„Klingt sehr literarisch. Da hast du ja schon den Anfang deiner Geschichte“, sagte Hans.
„Stimmt. Vielleicht sollte ich selbst eine Geschichte über uns schreiben. Und du bist dann der Clown, aber ein trauriger, der sich nicht entscheiden kann, ob er ein gutes Mädchen mag, das ihm gefällt, oder doch ein Böses Mädchen, das einfach nur noch heiß ist." Hans Mund fühlte sich trocken an. Vrenis Blick blieb kühl, er schwor sich, damit aufzuhören, Texte ins Internet zu stellen. "Aber in Wirklichkeit ist der Clown nicht du, sondern die Loni Schneider, die wir frühstücken.“ Vreni und Eva lachten und reckten die geballten Fäuste, um sich abzuschlagen. „Der war gut“, sagte Eva, da läutete ihr Telefon.